Es gibt Menschen, die haben etwas, das sie besonders erscheinen läßt. Manche nennen das Ausstrahlung, andere Glamour oder Charme. All diese Eigenschaften hat Tamara Danz, aber sie sind nicht der einzige Grund, warum die Ostberliner Rocksängerin aus dem Holz ist, aus dem Stars geschnitzt werden. Es ist ihre Kraft, nicht aufzugeben, weiterzukämpfen, auch wenn alle gegen einen sind. Tamara Danz hat sich immer wieder aus dem Sumpf gezogen, und das Verblüffende ist, daß sie dabei so attraktiv, ja, so hübsch geblieben ist, als wäre nie etwas passiert. Vielleicht wird sie auch deshalb so häufig die "Tina Turner des Ostens" genannt.
Tamara Danz und ich sitzen in einem Cafe an der Berliner Friedrichstraße. Der Kellner ist ein bißchen nervös. Dreimal leert er den leeren Aschenbecher aus, ein paarmal zu oft fragt er, ob es denn noch etwas sein dürfe. Dann nimmt er sich ein Herz, legt einen Zettel vor ihr auf den Tisch und bittet um ein Autogramm. "Wissen Sie, ich hab' Sie natürlich gleich erkannt." Das ist nun auch kein Kunststück, denn Tamara Danz fällt gerne auf. Auch jetzt, als sie ihren Nachmittagskaffee trinkt, trägt sie schickes Schwarz, Hose, Seidenbluse, Weste. Und geschminkt ist sie fast wie für einen Auftritt. Dazu ihre langen blonden Haare, ihre Mähne, wie sie sagt. Früher erzählt sie, hat sie immer furchtbar aufpassen müssen auf ihre Haare. Draußen in den Straßen war sie immer nur mit Kopftuch unterwegs, "in der DDR waren lange Haare nicht erwünscht. Wenn ein Polizist wollte, hat er dich auf die Wache geschleppt und alles abrasiert."
Es muß ein harter Schlag für sie gewesen sein, daß ausgerechnet der Zusammenbruch ihres Staates, dessen Führung sie so gehaßt hat, auch der Beginn einer eigenen Krise war. Dabei schien im Herbst 1989 nach dem Fall der Mauer zunächst alles wunderbar: Auftritte mit Westmusikern wie Wolf Maahn und Weltstars wie Joe Cocker, "mit dem durfte ich ,With a little help of my friends' singen, das war ein unglaubliches Gefühl für mich". Dann kamen Angebote von Plattenfirmen, zum Beispiel von der bekannten Ariola in München. Doch da mußten Tamara Danz und ihre Band "Silly" im Schnellverfahren lernen, wie brutal gerade in der Musikbranche die westdeutschen Marktgesetze sind. "Als erstes haben sie unsere Texte in den Papierkorb geworfen. Was wollt ihr mit dem Zeug, hieß es nur", erzählt sie. Wenn schon deutsch singen, dann bitte in Richtung "Ich liebe dich, ich liebe dich nicht". Ja, hieß es, sie seien eben aus dem Osten und müßten noch viel lernen. Da packten sie ihre Gitarren wieder ein und reisten ab.
Ein Scherbenhaufen. Keine Plattenfirma. Die Miete von Tamaras Wohnung kletterte von gerade 200 Mark um das Sechsfache auf 1200 Mark. Auch die anderen Kosten galoppierten, der Markt war völlig zusammengebrochen. Und plötzlich wollte selbst im Osten niemand mehr die alten Lieder von "Silly" hören, wo doch jetzt endlich die Bands in die Hallen kamen, die man all die Jahre nicht sehen und nur auf schwarz gehandelten Raubkopien hatte hören können. "Ich hab' das verstanden", sagt Tamara, "ich war ja auch scharf auf was Neues, auf neue Musik. Die erste Zeit nach der Wende konnte ich nur konsumieren. Mir ist nichts mehr eingefallen, keine Texte, keine Lieder. Wir mußten uns ja total umstellen. Es war wie der Beginn eines neuen Lebens."
In Krisenzeiten zahlt sich aus, wenn man früher schon andere überstanden hat. Und dafür ist Tamara Danz Spezialistin. Als sie in den siebziger Jahren anfing, Musik zu machen und lustige Reggae-Songs spielen wollte, verweigerte die einzige, natürlich staatliche, Plattenfirma der DDR jede Erlaubnis zur Veröffentlichung. Die schlichte Begründung: Tamaras Musik sei zuwenig staatstragend. Später mußte sie es einstecken, daß sie Einladungen aus dem Westen zu Konzerten und Festivals nie wahrnehmen durfte, die Ausreise wurde ihr immer verweigert. Und als sie sich dann 1988 für die Bürgerbewegung "Neues Forum" stark machte, wurde "Silly" von den bis zuletzt strengen DDR-Behörden verboten.
Es war ihr altes Rezept, das auch in der neuen Krise funktionierte: an sich glauben, weiterarbeiten, auf bessere Zeiten hoffen. Die Band-Mitglieder brachten sich zum Teil als Kellner durch, und Tamara Danz schrieb nach fast dreijähriger Pause neue Texte - so gut wie nie. Ihre Leute von "Silly" machten dazu eine Musik, die den Erfolg garantierte. Die Platte "Hurensöhne", produziert von einer kleinen Ostberliner Firma, bekam euphorische Kritiken. Sie startete im Mai 1993, und innerhalb von wenigen Tagen waren die ersten zehntausend Stück verkauft. Die Tournee in den neuen Bundesländern lief bestens. Und vielleicht noch wichtiger: Auch die Konzerte vor den Wessis in München, Frankfurt und Hamburg im vergangenen Herbst wurden ein großer Erfolg.
Tamara Danz singt auf "Hurensöhne"
mit einer leidenschaftlichen, impulsiven Melange aus Funk und Rock.
Manchmal sehr rauh, manchmal sehr weich und zärtlich. Sie hat ihren
eigenen Stil. Ihre Lieder, ihre Texte gehen schnell ins Ohr, wer sie
öfter hört, merkt aber, daß sie auch hintergründig sind,
eine starke Nachwirkung haben. Und wer Tamara auf der Bühne herumwirbeln
sieht, kann getrost sagen, daß derzeit wohl keine deutsche
Rocksängerin eine solche Live-Präsenz hat.
Das nächste Mal verabreden wir uns in ihrer Wohnung nahe des Französischen Doms. Es ist zwölf Uhr mittags und sie hat Frühstück gemacht. "Ich arbeite immer nachts, ich kann erst zu denken anfangen, wenn die Sonne untergegangen ist. Da wird es dann oft sehr, sehr spät, bis ich ins Bett komme", sagt sie und gähnt. Wir sitzen um einen kleinen Glastisch, dessen Fuß ein Terrarium ist. Auch sonst dominieren in der weiträumigen, etwas düsteren Wohnung die vielen mächtigen Grünpflanzen. Und die Gitarren, die reihenweise an der Wand lehnen. Tamara lebt hier schon seit vielen Jahren mit dem Gitarristen von "Silly" zusammen.
Sie ist 41 Jahre alt. Sie sagt, sie habe aus Überzeugung nie Kinder haben wollen, nie eine eigene Familie. Nur so konnte sie ihr Leben so führen, wie sie es wollte. Nur so konnte sie es sich leisten, keine Kompromisse einzugehen. "Wenn du ein Kind hast, bist du für jemanden verantwortlich, mußt dir Gedanken machen, was aus dem später mal wird. Und damit ist man irgendwie auch gefangen." Gerade den Frauen in den neuen Bundesländern möchte sie den Rat geben, "jetzt nicht auch noch Kinder zu bekommen. Sie sollen lieber versuchen, ihr eigenes Ding zu finden."
In Tamaras Wohnung sind keine Erinnerungsstücke zu sehen, auch nichts aus den Zeiten, die ihre Biographie prägten. "Ich versuche im Jetzt zu leben. Ich will das Vergangene nicht verschweigen, aber ich will auch nicht darin versinken", sagt sie. Wer wie sie in einer Diktatur aufgewachsen ist, findet an seinem Lebensweg oftmals Marken, die im Geschichtsbuch stehen. Tamara war gerade 16 Jahre alt, als die Russen in Prag einmarschierten und den Versuch eines sanften Sozialismus zertrümmerten. Sie lebte damals in Bukarest, ihr Vater war dort als Handelsvertreter tätig. In jenen Tagen des beendeten "Prager Frühlings" hielt sie sich zufällig in der dortigen Prager Botschaft auf, weil sie mit der Tochter des Botschafters befreundet war. "Ich hab' diesen Einmarsch dadurch enorm intensiv erlebt. Und mit Entsetzen habe ich damals gehört, daß auch meine DDR mitgemacht hat. Ich war starr vor Wut, das weiß ich heute noch", erzählt sie.
Mit Anfang Zwanzig kam der nächste Schlag: Wolf Biermann, den sie kannte, der ihr Idol war, wurde ausgebürgert. Sie weigerte sich, einen Aufruf zu unterschreiben, der diese Maßnahme guthieß. Dadurch geriet sie ins öffentliche Abseits -- ein Studienplatz an der Berliner Hochschule für Musik wurde abgelehnt. "Heute bin ich dankbar dafür", sagt sie, "ich war gezwungen, irgendwie ein Außenseiter zu werden. Und das war gut."
Nur durch einen Zufall gelang damals der Aufstieg in der DDR. Die Band "Silly" jobbte Anfang der achtziger Jahre während des Sommers in einem rumänischen Badeort am Schwarzen Meer, und nach einem der vielen Konzerte fragte sie ein Westberliner Musikagent, der gerade Urlaub machte, ob er eine Platte mit ihnen machen dürfe. "Wir dachten, das ist sicher wieder so ein Sprüchemacher", sagt sie. Aber der Mann brachte in Westberlin eine "Silly"-LP heraus -- und die DDR-Führung wußte erst nicht recht, was sie jetzt tun sollte. Als sie aber begriff, daß "Silly" möglicherweise Devisen bringen könnte, produzierte auch die staatseigene Plattenfirma schnell eine LP. "Nur unseren Namen ,Silly' wollten sie nicht, weil er englisch war. Erst als ich ihnen sagte, daß so auch meine Katze heißt, stimmten sie zu." So begann die DDR-Erfolgsgeschichte, bis zu 200 000 "Silly"-Platten wurden im Jahr verkauft. Mit Problemen für die Band allerdings: Die Texte mußten durch die Zensur und wurden dadurch "ziemlich lyrisch", wie Tamara sagt. Und der Staat kassierte sämtliche Einnahmen dafür, "wir lebten nur von unseren Auftritten".
Lange vorbei das alles. "Heute weiß ich erst, wie sehr wir in der DDR alle eingesperrt waren. Wie sehr wir ins nur um uns selber gedreht haben." Sagt sie, die blonde Tina Turner, und in ihren plötzlich sehr groß werdenden blauen Augen steht zu lesen: "Aber jetzt sind wir raus. Und jetzt werden wir zeigen, daß wir 'ne Menge draufhaben."
created: | 05/07/97 | last update: | 05/07/97 | by Patricia Jung. |