Freedows kommt

Mit dem freien Betriebssystem soll es möglich werden, Windows-Applikationen ohne ein Microsoft-Betriebssystem zu benutzen

von Patricia Jung

"In a world without walls and fences, who needs Windows and Gates?", lautet ein populärer Spruch im Internet. So mancher mag sich ob der Abstürze und Macken seines Windows-Rechners ein stabileres und schnelleres Betriebssystem wünschen. Doch da will man nicht auf die Spiele verzichten, die es nur für Windows gibt, da läuft das Präsentationsprogramm nur unter Windows, an die Textverarbeitung hat man sich gewöhnt, einen Mac zu kaufen, kommt nicht in Frage, und sich in eine fremde Welt wie Linux einzuarbeiten, fehlen Zeit und Antrieb. Also fügt man sich in das Schicksal, das Windows heißt, kauft sich ein Produkt, das sein Geld nicht wert ist und ärgert sich über den blöden PC.

[ein Chamäleon]
Vielfältig: Freedows arbeitet wie ein Chamäleon -- je nach Anwendung variiert das Betriebssystem seine Konfiguration. Foto: AP

Wenn es nach Reece Sellin, einem 16jährigen Informatikstudenten am University College of the Cariboo im kanadischen Kamloops geht, könnte man in Zukunft weiter Windows-Programme nutzen und würde trotzdem kein Microsoft-Betriebssystem benötigen. "Freedows" heißt das ehrgeizige Projekt eines freien Betriebssystems, das es ermöglichen soll, Windows-Applikationen stabiler als und mindestens so schnell wie gewohnt auf dem PC laufen zu lassen, und das alles, ohne dabei Microsofts Rechte an seinen Produkten zu verletzen.

Der Schlüssel dazu liegt in einem modernen Betriebssystemkonzept namens Cache Kernel, das an der Stanford University entwickelt wurde: Ein Cache Kernel kann zur Laufzeit sogenannte Application-(Anwender-)Kernel laden, die die Funktionalität anderer Betriebssysteme bereitstellen. Da sich das alles nicht auf der Benutzerseite, sondern im Inneren des Betriebssystem abspielt, geht es im Gegensatz zu einer Emulation sehr schnell vonstatten. Zudem können verschiedene Applicationkernel geladen werden; bei Freedows ist zunächst an einen Applicationkernel für Windows 95 und Windows NT gedacht, auch 16-bittige Windowsapplikationen sollen unterstützt werden. Später sollen Applicationkernel für DOS, Linux und MacOS hinzukommen. Freedows wird sich letzten Endes also wie ein Chamäleon verhalten: Für eine Windows-Textverarbeitung wird der Windows-Applicationkernel geladen, so daß dieses Programm "denkt", es liefe tatsächlich unter Windows. Startet man außerdem ein Linux-Graphikprogramm, sieht der Rechner aus der Sicht dieses Programms wie ein Linuxrechner aus -- offensichtlich laufen aber beide Programme zur selben Zeit auf einem Freedows-Rechner. Da Freedows-Applicationkernel lediglich eine Schnittstelle bieten müssen, die aus Sicht eines Anwendungsprogramms aussieht wie sein eigentliches Betriebssystem, und fast alle Schnittstellen selbst von Microsoft-Betriebssystemen bekannt sind, benötigen die Freedows-Entwickler auch kein illegales Wissen über Windows.

Reece Sellin ist zwar der Initiator und Koordinator des Projekts -- an der Freedows-Entwicklung sind jedoch Freiwillige aus aller Welt beteiligt. Derzeit arbeiten etwa 200 Programmierer am Projekt mit -- und ein Vielfaches an Leuten, die organisatorische Aufgaben übernommen haben. Persönlich gegenübergestanden haben sich die wenigsten von ihnen -- die Kommunikation läuft über e-mail, Internet Relay Chat und das WWW. Wie Linux untersteht auch Freedows der GNU Public Licence, die festlegt, daß ein Programm -- kostenlos oder gegen Entgelt -- nur zusammen mit seinem Quellcode verbreitet werden darf.

Auf die erste öffentliche Beta-Version wird man wohl noch bis ins zweite Halbjahr 1998 warten müssen. Über den Fortschritt des Projekts kann man sich unter http://www.tu-clausthal.de/~matsa/freedows/ informieren.


Zeitung zum Sonntag, 22.02.1998